Einblick in den Roman

Herzmitteilung 5. Oktober

Gebrochenes Herz

1 Das Hohenzollernschloss

Wo ist es, wo ist es?, fragte ich mich und lief mit dem Bolzenschneider auf der Brücke auf und ab. Im Hintergrund der Kölner Dom mit seinem ewigen Gerüst. Aber der interessierte mich gerade nicht. Hier muss das doch irgendwo gewesen sein? Grün schillernd war das Ding, als wir es zusammen anbrachten. Arne + Bille. Damals versicherte Arne mir, dass sein Name wegen seines Anfangsbuchstabens als erstes stehen müsste. Heute ist mir klar, dass Arne selbst dann einen Grund gefunden hätte, an erster Stelle auf dem Schloss zu stehen, wenn er Zacharias heißen würde. Aber wo zum Henker hatte ich mich an diesen Menschen und diese Brücke gekettet? Meine Augen liefen die einzelnen Schlösser ab. Lilli+Daniel, Nebahat+Stefan, Törtel+Heinz … Törtel? Bei den Assoziationen, die da aufkamen, war ich über das Minischloss echt erstaunt, das Heinz und Törtel einte. Bei dem Namen hätte ich mehr erwartet. Ich suchte weiter, schließlich hatte ich eine wichtige Mission. Ich stutzte. Lag das jetzt an meiner selektiven Wahrnehmung oder standen hier überall die Frauen vorne und die Männer hinten? Diana+Malte, Loni+Kevin foa ewer, Mathilda+Jenny, ha! Hier waren die Frauen sogar im Doppelpack zu lesen. Aber wo war meins? Ich tigerte auf und ab und versuchte mich daran zu erinnern, wo wir uns damals, romantiktrunken, eingereiht hatten. Und dann warfen wir auch noch den Schlüssel in den Rhein, du lieber Himmel! Wer hatte sich nur dieses dämliche Ritual ausgedacht? Die Hohenzollernbrücke brach schier zusammen unter der Last geglückter und – ich war sicher – in der Mehrzahl missglückter Beziehungen. Würde niemand die Fahrrinne ab und zu saubermachen, die Schiffe würden auflaufen. Und ich? Nie mehr würde ich von diesem Betrüger loskommen! Ich stellte mir vor, wie ich mit Rollator und längst verrostetem Werkzeug immer noch auf der Hohenzollernbrücke nach Erlösung suchte. Sofort erhöhte sich der Leidensdruck. Also, wo zum Kuckuck ist dieses sch… Schloss? Langsam wurde ich ernsthaft nervös. Vorbeilaufende Liebespaare taxierten mich irritiert, wie ich – todesengelgleich – mit Kapuze auf dem Kopf und schwingendem Bolzenschneider auf und ab tigerte. Die Gewissheit war stark: Wenn ich es nicht entfernte, war mein Leben für immer verwirkt.

Da! Ein grünverblichenes Schloss. Das musste es sein! Wie war ich froh! Ich beugte mich vor, um die Gravur zu entziffern. „… rnc+Bill …“ Mit viel Fantasie stellte ich mir vor, dass es sich hier um Erna und Bill handelte, einfach nur um das Gefühl zu haben, dass auch hier der Frauenname zuerst stand. Es gelang mir aber nicht. War das überhaupt unseres? Ich pulte mit dem Fingernagel den Dreck herunter und plötzlich strahlten unsere Namen wie in alten Tagen, nur das Grün war nicht wiederzubeleben: Arne+Bille. Ich schluckte. Bestimmt hatte Arne den Ersatzschlüssel behalten und es hing hier nur deshalb noch herum, weil er keine Zeit hatte, es abzunehmen. Das sähe ihm ähnlich. Außerdem, da war ich sicher, hatte er heimlich einen Lageplan angefertigt, damit er nicht so herumirren müsste wie ich. Weg damit! Beherzt zückte ich den Bolzenschneider … ups, ganz schön schwer das Ding … und als ich wieder auf das Schloss sah, um dieser unglückseligen Verbindung den Garaus zu machen, war ich irritiert. Direkt daneben hing ein identisches Schloss: Arne+Juanita. Und daneben noch eins: Arne+Katharina, genauso darüber und darunter: Arne+Verena, Arne+Katja, Arne+Törtel. Was?! Und noch viel mehr: Arne+Loni, Arne+Silvie, Arne+Mathilda und+Jenny …! Der ganze Zaun war voller Schlösser mit Arne und sämtlichen Frauen dieser Welt. Und unser Schloss? War auf einmal verschwunden. Ich taumelte nach hinten, der schwere Bolzenschneider zog mich weiter über das Geländer und mit rudernden Armen und einem langen Schrei fiel ich Richtung Rhein. Mit einem Schlag war es dunkel – und trocken. Mein Herz raste, sonst hörte ich nichts. Ich konnte eigenartigerweise atmen. In der Hand hielt ich nach wie vor den Bolzenschneider fest umklammert. War ich schon tot? Oder hatte ich das noch vor mir? Wo war das weiße angenehme Licht, von dem man immer so hörte? Plötzlich rasselte etwas direkt neben meinem Ohr. Womöglich die Schiffsschraube eines KD-Ausflugsdampfers? Sollte ich so sterben? Oh, wie erbärmlich! Unerbittlich rasselte und schepperte es weiter.

„Mama?“

„Was? Wie?!“ Wie kam meine Tochter hierher?

„Dein Wecker klingelt, mach doch mal aus!“

„Oh!“ Langsam beruhigte ich mich. Ich lag im Bett, das Ganze war nur ein Traum gewesen. O.k., soweit so gut. Aber konnte ich es wagen, das Licht anzumachen, um zu sehen, was ich da so umklammert hielt?

Klack! Das Licht ging an. Valerie stand in der Tür, ihr Händchen reichte gerade so zum Lichtschalter. Sie starrte auf einen Punkt auf meiner Bettdecke. Langsam folgte ich ihrem Blick. Darauf lag eine leere Weinflasche, die ich eisern festhielt.

„Was machst du mit der Flasche?“

„Äh. Flaschenpost. Wollte ich gerade abschicken.“

Dann erlöste mich das erneute Rasselklingeln meines Weckers aus dem Erklärungsnotstand und Valerie tapperte aus dem Schlafzimmer. Mühsam rappelte ich mich auf. Wenn ich so aussah, wie ich mich fühlte, war das genau richtig: Ich wurde heute von Arne geschieden.

2 Verliebt, verlobt, verbrannt!

Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Hier saß ich nun, frisch geschieden und seit einem Jahr verlassen. Die verlassene Ehefrau. Betrogen mit jungen Schicksen. Wohlgeformten Studentinnen. Fröhlich frivole Gören. Argh! Ich habe heute die Scheidungspapiere unterschrieben. Ein Grund zum Feiern, ein Grund zum Reiern. Was für ein Unterschied zur Hochzeit: Wallend in Weiß! Und heute? Cargo in Oliv. Um möglichst nicht aufzufallen. Vielleicht hätte ich die Zwillinge mitbringen sollen, weinend natürlich, um die Dramatik im Gerichtssaal zu erhöhen.

Es war vermutlich einer der letzten milden Tage in diesem Jahr und ich hockte mit meiner Freundin Sabrina auf dem Balkon. Immerhin war Arne ausgezogen und nicht wir. Im Garten tobten vier Kinder. Zwei davon waren meine und hatten keine richtige Familie mehr. Stopp! Nicht darüber nachdenken! Mist. Tränen kullerten aus meinem rechten Auge. Das linke schien wohl erst wieder nachtanken zu müssen, so viel hatte ich heute schon geheult.

„Miiii!“, schluchzte ich.

Sabrinas Hand tätschelte meinen Rücken. Sie hatte mich heute schon so oft umarmt, dass sie vermutlich mal in ihrer Gestik etwas Abwechslung brauchte. „Dein Balkon sieht aus wie Sau“, tröstete sie mich.

Ich sah mich um. Überall grünes Zeug auf den Platten. In der Ecke türmten sich unbenutzte Blumentöpfe. Unter einer Plane, halb versteckt, ein halbvoller Aschenbecher, der Inhalt mit Regenwasser aufgefüllt. Ich hatte kurzfristig mal mit dem Rauchen angefangen, aber auch gleich wieder aufgehört. Es sah wirklich schlimm hier aus.

„Miiii!“, machte ich.

Jetzt fiel Sabrina keine neue Trostgeste mehr ein. „Hast du denn noch irgendwo Polster für die Stühle?“, fragte sie stattdessen.

„Die hat Arne mitgenommen …“ Ich machte ein komisches Geräusch beim Einatmen und Sabrina wartete ab, ob ich noch was sagen wollte. „Miiiihh!“ sagte ich schließlich.

„So ein Schwein!“, schimpfte Sabrina mitfühlend. Ich sah auf die Uhr. Kurz nach fünf.

„Ich trinke jetzt ein Bier!“, sagte ich entschlossen.

„Hmhm.“

„Auch eins?“

„Hmm.“

„Sekt hab ich nicht … Hat Arne mitgenommen.“

„Bitte was?!“

Ja, Arne hatte tatsächlich heute noch Zeug aus der Wohnung geholt, obwohl er schon seit einem Jahr hier nicht mehr wohnte. Ich hatte den Verdacht, dass Arne mich nochmal richtig demütigen wollte, indem er alles akribisch halbierte. Und da ich den Champagnervorrat in den letzten Monaten fast allein aufgebraucht hatte, nahm er den Rest an Alkohol komplett mit. Genauso die Sitzpolster, dafür ließ er mir die baufälligen Stühle. Zudem die Hälfte des Silberbestecks, der Gläser, der Töpfe und: der Handtücher. Vielleicht sollte ich lieber mal nachzählen, ob noch so viel Klorollen wie heute Morgen da waren. Naja. Scheiß drauf, Champagner ist auch nur Sekt.

Um acht spielten die Kinder noch draußen und Sabrina und ich malten mit dem Hochdruckreiniger Muster auf die Balkonplatten …

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